Ein Leben reicht nicht aus, um Rom zu kennen. Das sagen die Römer selbst von ihrer Stadt. Die Stadt hat so viele Facetten. Oft liegen Prunk und Verfall eng nebeneinander.
Das Stadtviertel Trullo ist in Rom bekannt für Drogenhandel, Gewalt, Kriminalität. In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts siedelten sich Einwanderer aus dem Süden an, Kalabresen und Sizilianer, heute sind es Einwanderer aus Polen und Rumänien, aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Tiefe Löcher im Asphalt, offene Kanaldeckel, beschmierte Fassaden, und das seit Jahren und oft Jahrzehnten, wie uns Mario D’Amico erzählt. Er ist einer der Pittori anonimi der Trullo, also der anonymen Maler des Trullo, den ich mit einer Reisegruppe aus Oberösterreich, die ich begleite, treffe. Wir sind die ersten Touristen, die sich in das Viertel „verirren“. Die Bewohner schauen uns erstaunt hinterher.
Das Viertel Trullo wurde während des Faschismus am südwestlichen Stadtrand errichtet, um Wohnraum für die enteigneten Bewohner des Borgo Pio und des Rione Monti zu schaffen. Das Borgo Pio wurde von Mussolini zerstört, um die Via della Conciliazione, die von der Engelsburg bis zum Vatikan führt, zu erbauen. Im Rione Monti wurde die Via dei Fori Imperiali errichtet, die von der Piazza Venezia zum Kolosseum führt. Die Häuser aus der Zeit des Faschismus sind noch gut erkennbar. Die Strukturen regelmäßig. Seit dem zweiten Weltkrieg sind der Wohnungsbau und auch die Vermietung von Sozialwohnungen chaotisch und illegal, nicht nur im Trullo.
Stadtplaner würden heute vielleicht von „bottom-up urban requalification“ sprechen, also der „urbanen Erneuerung von unten“. Arbeitslose Bewohner der römischen Borgata Trullo im Südwesten Italiens Hauptstadt Rom werden aktiv und verschönern ihr Viertel. Sie geben den heruntergekommenen, mit Schimpfwörtern beschmierten Häusern ein neues Gesicht, ein buntes, ein künstlerisches. Am Beginn sind es Nacht- und Nebelaktionen. Die Sache ist natürlich nicht legal. Zu Viert rücken sie mit Leitern und Farbtöpfen bewaffnet aus, bemalen Hauswände, Treppen, Mülleimer, Zäune. Zuerst in der Angst erwischt zu werden.
Die Bewohner sind erstaunt. Sie entdecken jeden Tag beim morgendlichen Cappuccino in einer Bar ein neues Kunstwerk in dem Viertel mit fast dörflichem Charakter. Keiner weiß, wer dahinter steckt. Fast alle sind begeistert über die Veränderung. Nach etwas mehr als einem Jahr bemalen die Pittori anonimi der Trullo (der ist römisch der Artikel del im Italienischen, im Trullo hört man fast nur römischen Dialekt) gemeinsam mit Kindern Schulen und Kindergärten. Mittlerweile haben sie mehr als hundert Aufträge, graue, verschmierte Bahn- und U-Bahnstationen zu bemalen. Auch über die Grenzen Roms hinaus.
Die Maler bezahlen alles selbst, freuen sich jedoch über Spenden für die Farbtöpfe in ihr kleines Sparschweinchen in einer Bar auf der Piazza del Trullo. Mittlerweile ist die Gruppe größer geworden, mal sind es zehn, mal sechs und dann wieder zwanzig, die Kunst auf die Fassaden bringen. Die Maler arbeiten zusammen mit den Poeten, i poeti der Trullo. So sind die Gemälde häufig mit Gedichten und Gedanken im römischen Dialekt zu sehen.
Jahrzehnte hat man nur gewartet, dass die Stadtverwaltung im Viertel Gebäude renoviert, Straßen und Gehsteige saniert und Gestrüpp entfernt. Vier kreative Arbeitslose, die es satt hatten, auf die Verbesserung der Lebensumstände durch die Stadtverwaltung zu warten, schaffen es, den Menschen des Trullo mit ihrer Kunst Hoffnung und Freude zu schenken und zeigen, wie wichtig Ästhetik für das Gemüt ist. Sie muntern dazu auf, unserer Umgebung Farbe zu geben und den ersten Schritt zu tun, anstatt zu warten.
Linktipps:
http://www.poetidertrullo.it/