Libera: Mutiger Kampf gegen die Mafia

Libera: Mutiger Kampf gegen die Mafia

Die Mafia ist nie Parallelwelt, sondern Teil unserer Welt, sie ist unter uns, sie passt sich rapide den Veränderungen der Gesellschaft an.” (Don Luigi Ciotti, in DIE WELT, 24.8.2015)

Rom. Wir gehen von der Porta San Paolo/Piramide der aurelianischen Mauer entlang. Nach circa einem Kilometer beginnen rechts von uns hohe Mauern, hinter denen sich römische Villen in großen Parkanlagen verbergen. Wir suchen die „Casa del Jazz“, ein Konzertsaal für Jazzmusik, wo wir Marco vom Verein Libera treffen wollen. Bei der Nummer 55 der Viale di Porta Ardeatina eröffnet sich uns eine weitere große Parkanlage (25.000m²) mit mehreren kleineren Gebäuden.

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Marco, der junge Freiwillige, der sich seit Jahren für Libera engagiert, erwartet uns schon. Wir einigen uns darauf, dass er seine Ausführungen auf Italienisch macht und ich für die Reisegruppe dolmetsche.

Marco erzählt uns die Entstehungsgeschichte und die wichtigsten Meilensteine im Kampf von Libera gegen die Mafia.

Der volle Name des Vereins lautet: Libera: Vereine, Namen und Zahlen gegen die Mafia. Er wurde am 25. März 1995 gegründet und entstand als Interessenvertretung für die bis heute rund 3500 Mafia-Opfer in Italien. Eine der ersten Aktionen von Libera war eine Unterschriftensammlung für ein Gesetz zur sozialen Nutzung konfiszierter Mafiagüter, das 1996 auch in Kraft trat. Libera ist heute ein Netzwerk von mehr als 1600 Vereinen, sozialen Kooperativen, Gruppen, Schulen und Universitäten, die alle das Ziel haben, eine Kultur der Gesetzesmäßigkeit zu fördern. Libera hat in vielen Städten in Italien Büros mit ehrenamtlichen Helfern, die dazu beitragen, Liberas Prinzipien umzusetzen. Der Verein engagiert sich neben der Verwendung von der Mafia konfiszierter Güter für einen sozialen Zweck in der Demokratieerziehung, gegen Korruption, hält Antimafia-Workshops und führt Regionalentwicklungsprojekte durch.

Der Verein agiert nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch international. 2008 hat das Europäische Studienzentrum Libera unter die 100 besten Vereine in Italien gewählt. 2009 wurde Libera von dem Wirtschafts- und Sozialrat der Europäischen Union als „bester  zivilgesellschaftlicher Verein“ anerkannt.

Libera setzt sich für Opfer von kriminellen und mafiösen Gruppen ein und leistet legalen Beistand. Sie begleiten die Opfer bei dem schwierigen Weg, als „Zeugen der Gerechtigkeit“ Anzeige zu erstatten. Die bekanntesten Gruppen sind die sizilianische Mafia, die Ndrangheta und die Camorra, die ihre kriminellen Aktivitäten auch über Italien hinaus betreiben. Daneben gibt es im ganzen Land noch zahlreiche andere mafiöse Gruppierungen. In Rom war lange Zeit die „Banda della Magliana“ sehr bekannt.

Libera betreibt auf den von der Mafia konfiszierten und vom Staat zu sozialen Zwecken umgewidmeten Ländereien in Kooperativen Bio-Landwirtschaft. Die Produkte (z. B. Olivenöl, Wein, Pasta, getrocknete Tomaten) werden unter dem Label Libera Terra vor allem über Weltläden vertrieben. Einer dieser landwirtschaftlichen Betriebe in der Nähe von Corleone gehörte früher dem Boss aller Bosse, Totò Riina, der die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino samt Leibwächtern in die Luft sprengen ließ und bis in die 90er Jahre hinein über diese Gegend mit brutaler Gewalt herrschte. Neben landwirtschaftlichen Flächen werden auch illegal (z. B. durch Drogenhandel) erwirtschaftetes Geld und Unternehmen, denen mafiöse Machenschaften bzw. das Reinwaschen von Mafiageldern nachgewiesen werden können, konfisziert.

Mit meiner Reisegruppe befinde ich mich ebenfalls auf einem der konfiszierten Güter. Interessantes Detail: Der vorherige Besitzer, also ein Mafiaboss, hatte das Anwesen von der Kirche zu einem Spottpreis verkauft bekommen. Wie wir alle wissen gibt es innerhalb der katholischen Kirche die verschiedensten Strömungen, vor allem die, die gegen die weltliche Macht ankämpfen und die, die Macht und Geld suchen. Das war schon immer so. Und es ist in Italien natürlich bekannt, dass so mancher Kirchenmann auch mit der Mafia verstrickt ist, genauso wie es Berlusconi oder andere Politiker waren und sind. Dennoch steht hinter Libera ein bekanntes Gesicht aus der Kirche: Don Luigi Ciotti, der Präsident von Libera und bekannteste und am meisten gefährdetste Priester Italiens.

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Mit seinem Engagement setzt er sich der Gefahr der Mafia aus und lebt seit Jahren mit Polizeischutz. Don Ciotti 2015 in einem Interview mit der WELT:

„Wir haben heute ein nie da gewesenes Niveau der Verflechtung und Unterwanderung erreicht. Die Mafiaorganisationen mutieren ständig, bleiben aber immer, was sie sind: Mafia. Sie wechseln Fell, Kleider, Konterfei, Namen, Orte, aber Mafia bleibt Mafia. Die Mafia ist außerdem nicht nur eine kriminelle Organisation, sondern Komplize der Korruption und korrupter politischer Macht. Und bestimmte Machthaber helfen ihr beim Überleben.“

Fast zwei Stunden lauschen wir gebannt Marcos Ausführungen. Am Ende ergibt sich noch eine interessante Diskussion über das Phänomen Mafia, über die Gründe, warum vor allem Jugendliche so leicht zu involvieren sind, über das Thema Angst, wenn man sich als Bürger der mächtigen und skrupellosen Mafia widersetzt. Marco und seine WeggefährtInnen sind recht furchtlos. Don Ciotti sagt zum Beispiel über die Bedrohung: “Sie können auch das Leben einer einzigen Person auslöschen, aber mit Libera ist ein ganzer Kosmos entstanden, der nicht mehr so leicht zu besiegen ist.”

Die Mitglieder von Libera wollen mit dem guten Beispiel der Solidarität mit den Opfern und des Einsatzes für Demokratie und das Einhalten der Gesetze zeigen, dass Rechtschaffenheit der bessere Weg ist – und auch faire Arbeitsplätze schafft (wie zum Beispiel in der Landwirtschaft und neuerdings auch im Tourismus). Mitglieder von Libera gehen daher häufig auch in Schulen und reden mit jungen Leuten, um sie über das Phänomen Mafia und den Widerstand aufzuklären und das Problem sozusagen an der Wurzel anzupacken. Im oben genannten Interview erklärt Luigi Ciotti die Gründe für die Notwendigkeit von zivilgesellschaftlichem Engagement:

„Wir brauchen jetzt einen Ruck. Die Mafia ist heute stärker denn je. Um sie zu bekämpfen, brauchen wir nicht nur den Einsatz der Justiz und Sicherheitskräfte, sondern auch Sozialpolitik, Arbeit und Kultur, Bildung, Unterstützung der Familien, große Investitionen, die die Bedingungen für einen positiven Nährboden schaffen. Wir brauchen Bewusstsein, Verantwortung und Mut zum persönlichen Engagement und dürfen das nicht alles an Institutionen, Ermittler, Politiker, Sicherheitskräfte delegieren. Die Mafia ist stark, wenn die Politik schwach und die Demokratie blass ist.“

Weitere Informationen könnt ihr hier nachlesen:

www.libera.it
http://ilgiustodiviaggiare.it/
http://einewelt-leipzig.de/de/freiwilligendienst/italien/ Interessierte Jugendliche können bei Libera in Sizilien mitarbeiten

Zeitungsartikel:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/morddrohungen-gegen-anti-mafia-priester-don-luigi-ciotti-a-989287.html
http://www.welt.de/vermischtes/article145588371/Man-hat-dem-Pfarrer-eine-Falle-gestellt.html
http://www.badische-zeitung.de/kommentare-1/luigi-ciotti-der-anti-pate–93769891.html

Videos:
https://www.youtube.com/watch?v=oY_sU-RGMGs&nohtml5=False
https://www.youtube.com/watch?v=Z1QoDwRELwM&nohtml5=False
https://www.youtube.com/watch?v=uRNOAbWehDc&nohtml5=False

Bildnachweis:
http://www.sovraintendenzaroma.it/i_luoghi/ville_e_parchi_storici/ville_della_borghesia/villa_osio (Foto der Villa)
https://www.youtube.com/watch?v=5F5GtV9jP4U (Foto von Don Luigi)
privat (Logo Libera)