Die Vorfreude war groß. Unser Reiseprogramm vielversprechend. Es ließ Spielraum für spontane Entscheidungen, kleine Abstecher, unerwartete Begegnungen…so wie ich und mein Reisebegleiter das lieben.
Mein Reisebegleiter ist ein erfahrener Italienreisender, ein Liebhaber des italienischen Dolce Vita. Italien ist für ihn „Kino im Freien“: Kinder, die vor dem Domplatz kreischend einem Fußball hinterher laufen, das lässig elegant gekleidete Paar auf der Vespa am Weg ins Büro, zwei ältere Damen, die sich über die aktuellen Marktpreise von Gemüse und die beste Zubereitungsart der schwarzen Kichererbsen aus der Provinz Viterbo unterhalten, ältere Herren auf Steinbänken in grauer Anzughose und blauem kurzem Hemd, die Gazzetta dello Sport oder die Lokalzeitung lesen. Aus der Bar auf der piazza ein Stimmengewirr, aufgeregte Diskussionen über das Fußballderby vom Vorabend oder den neuesten Korruptionsskandal zw. „un cappuccio, per favore“ und „un cornetto con la crema“.
Ich selbst habe vor über zwanzig Jahren mein Herz an eben diese italienische Lebenskultur verloren (…nicht nur an einen Italiener J). Ich hatte mich in die Schönheit des Landes verliebt, den einzigartigen kulturellen und landschaftlichen Reichtum, die Offenheit der Menschen, das gesellige Leben, den Sinn für Schönes und Geschmackvolles sowohl in der Kleidung, Gastronomie als auch in der Kunst und Architektur und nicht zuletzt das Dinge-nicht-so-ernst-nehmen…unter dem Motto „si vive una volta solo…man lebt nur einmal“.
Ich bin zwar irgendwann in die Heimat Österreich (Heimat? Eigentlich fühle ich mich in keinem Land der Welt so zu Hause wie in Italien) zurückgekehrt, habe aber dennoch nie dem Land, der Sprache, den Freunden und Freundinnen den Rücken gekehrt. 2014 habe ich dann das Unternehmen ITALIANO per passione, also ITALIENISCH aus Leidenschaft, gegründet, mit dem ich die italienische Sprache und Kultur in Österreich promote.
Zurück zur Reise. Ich hatte sie als 3-Seen-Tour geplant. Schließlich ist dann noch das Meer dazugekommen, weil ich es so liebe und dann waren da auch noch die zwei kleinen Seen in den Albanerbergen und mein geliebtes Rom, die ich meinem Reisebegleiter unbedingt zeigen musste. Aber nun mal Schritt für Schritt.
Es fing alles mit einem Picknick im Schlafwagenabteil nach Orvieto an. Orvieto erhebt sich auf einem Tuffsteinhügel im grünen Herzen Italiens, in Umbrien. Umbrien ist weniger bereist als die Nachbarregion Toskana, aber ebenso voll sanfter Hügel, Berge und Täler, mittelalterlicher Städte, Kunstschätze und gastronomischer Vielfalt. Das von uns bereiste Gebiet zwischen Südumbrien und Nordlatium ist Etruskerland. Dort befinden sich die bedeutendsten Reste von Etruskersiedlungen in Italien. Und so geht auch die Geschichte Orvietos auf die Etruskerzeit und das 9. Jahrhundert vor Christus zurück. Die Stadt zählt somit zu den ältesten Italiens. Absolut sehenswert ist der romanisch-gothische Dom mit zahlreichen interessanten Kunstwerken, unter anderem mit Fresken des toskanischen Renaissancemalers Luca Signorelli (der auch in der Sixtinischen Kapelle tätig war) von Paradies und Hölle (1499-1504) in der Cappella Nuova, von Beato Angelico in der Cappela di San Brizio und viele andere berühmte Künstler und Architekten der Zeit.
Einen Besuch wert ist auch Orvieto sottorranea, also das unterirdische Orvieto. Bei dieser geführten Erkundungstour gewinnt man Einblicke in die unterirdischen Gänge und Schächte und deren Nutzung über die Jahrhunderte (z. B. als Weinkeller, Olivenmühlen und für die Taubenzucht). Schon mehrmals in den letzten Jahrzehnten musste die Stadt wegen Einsturzgefahr geräumt werden. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten müsse man keine Angst mehr haben, meint die junge Führerin lächelnd mit einem leichten Klopfen auf das Gewölbe mit dem porösen Tuffstein und unsere unsicheren Blicke. Vom Domplatz sind es nur ein paar Schritte zur Keramikwerkstätte von Anna, einer zarten älteren Frau, die ihr Laboratorio in einem Innenhof mit Blick auf einen verwilderten Garten führt. Die grauhaarige Dame mit roter Brille freut sich über meinen Besuch in der Via die Dolci (Straße der Süßspeisen). So wie sie selbst ist auch ihre Keramik zart in den Motiven und Farben (im Gegensatz der fast kitschig wirkenden Keramik die in zahlreichen Geschäften in den Altstadtgässchen feilgeboten werden). Das verblüffende und schöne an Orvieto ist, dass nur wenige Gassen von den Touristenströmen überfüllt werden. Kaum biegt man in eine Seitengasse ab, fühlt man sich ins Mittelalter zurückversetzt.
Nach dem vielen Herumwandern in den engen Gassen entscheiden wir uns für ein Essen im Restaurant Osteria numero 1. Der Inhaber ist zwar kein offizielles Mitglieder Slow Food Bewegung, folgt jedoch deren Philosophie, lokale und saisonale Qualitätsprodukte, wenn möglich aus Bioanbau, zu verwenden. Unsere Pasta schmeckt lecker: Umbrichelle con fave, guanciale e pecorino (typisch umbrische Teigwaren mit Puffbohnen, Speck und Pecorino-Schafkäse) für mich und Tagliatelle al cinghiale (Bandnudeln in Wildschweinsauce) für meinen Reisebegleiter. Die Preise liegen um die 10 Euro für den üppigen Teller Nudeln und 6 Euro für einen halben Liter exzellenten vino bianco DOC.
Am dritten Tag ist unser Reiseziel die Insel Giglio. Ich wollte schon lange auf diese kleine Insel an der Südküste der Toskana, lange bevor die Insel dann wegen dem Unglück der Costa Concordia in die Schlagzeilen kam und von vielen Schaulustigen besucht wurde. Mich reizt vor allem das Meer. Unser traghetto geht um halb fünf am Nachmittag. Und so haben wir noch Zeit, auf der Fahrt durch das Etruskerland ein paar Zwischenstopps einzulegen.
Von Orvieto fahren wir mit dem Mietauto zuerst auf der hügeligen strada del vino etrusco-romano (etruskisch-romanische Weinstraße) vorbei an Oliven- und Weingärten in den winzigen Ort Cività di Bagnoregio, zurecht auf der Kandidatenliste für das UNESCO-Weltkulturerbe (dafür braucht es 50.000 Unterschriften, Petition hier unterschreiben). Cività hat aus der Entfernung etwas Magisches. Für die Besichtigung des wegen Einsturzgefahr gefährdeten Ortes bezahlen wir 1,5 Euro Eintritt. Wir erreichen den Ort über eine steile Brücke. So wie Orvieto liegt das Dorf auf der Spitze eines Tuffsteinhügels. Außer ein paar Läden für Touristen und einigen Restaurants, deren Speisekarten einem das Wasser im Mund zusammenfließen lassen, haben die Einheimischen den geologisch sensiblen Ort schon lange verlassen. Der gesprächige Ticketverkäufer verrät mir, dass an einem Tag im Hochsommer sich bis zu 6.000 Personen durch die wenigen engen Gassen zwängen. Ob ich ihm die Zahl glauben soll, weiß ich nicht, doch auch wir steigen zu dem mittelalterlichen steinernen Dorf hinauf, drehen eine Runde, besuchen eine interessante 3-D-Ausstellung über die Etrusker, kaufen ein paar Souvenirs und brechen dann zum Bolsena See auf. Vom Weinbaugebiet mit kontrollierter Herkunftsbezeichnung (DOC) Montefiascone, wo der berühmte Est! Est!! Est!!!-Wein produziert wird. Der Legende nach soll im Hochmittelalter ein deutscher Prälat auf dem Weg nach Rom im Auftrag von Heinrich V. die besten Winzer auswählen und „Est“ (Es ist (hier)!) auf die Tür schreiben und wenn der Wein besonders gut ist das Wort zweimal wiederholen. Diesem schmeckte der Wein bei einem Weinbauern so gut, dass er gleich dreimal Est! Est!! Est!!! (aufgepassst auf die Steigerung der Rufzeichen) hinaufschrieb.
Hinter der Stadt Montefiascone blicken wir auf den tiefblauen Kratersee und ein paar kleine Inseln hinunter. Wir wollten an dem Tag unser erstes Bad in diesem Urlaub nehmen, doch der Vulkansee erwartet uns mit starkem Wind und Wellen. Vom Städtchen Marta sehen wir hinüber auf die Festung Farnese der Halbinsel Capodimonte, die auf dem Felsen in den See hineinragt. Die Farbe des Wassers ist von einem atemberaubenden Blaugrün. Während wir unser vom Fleischer kurz zuvor frisch zubereitetes Salamibrot mit Pecorino verschmausen, sehen wir den auf den Wellen tanzenden Schaumkronen zu.
Bei brütender Hitze setzen wir unseren Weg Richtung Küste auf der N312 fort und gelangen über Orbetello und den bewaldeten Monte Argentario nach Porto Santo Stefano mit seinen gelb, rosa und ocker getünchten Häusern über denen das Castello Spagnolo thront. Kurz denke ich über den Namen nach (warum wohl spagnolo, also spanische Burg?) und überlege, noch einen Sprung hinaufzufahren, bis unsere Fähre kommt. Doch dann entscheiden wir uns dafür, noch gemütlich eisgekühlten Kaffee (caffè freddo con ghiaccio) unter einem Baum auf einer schattigen Terrasse zu schlürfen, während wir auf die Fähre warten und. Ihr dann beim Parkmanöver zusehen. Pünktlich um 16.30 legt die Fähre ab. Alle Passagiere stehen mit gezückten Handykameras an der Reling, um noch einmal einen Schnappschuss vom Meer aus auf das reizvolle Städtchen Porto S. Stefano zu schießen.
Die Farben von Giglio Porto sind ähnlich wie in S. Stefano: rosa, orange, ocker, gelb. Bei der Einfahrt in den Hafen schaue ich gespannt, ob noch etwas an die Costa Concordia erinnert. Und in der Tat befindet sich rechts von der Hafeneinfahrt ein Schiff, das leicht als „Arbeitsschiff“ und nicht als Ausflugsschiff zu erkennen ist. Vom Kellner im Restaurant unseres Campingplatzes erfahre ich, dass das Schiff und seine Crew mit der Säuberung des Meeresbodens beschäftigt ist. Die Wochen vor unserer Reise habe ich versucht, auf Giglio ein Zimmer zu halbwegs vernünftigen Preisen zu bekommen. Aussichtslos. Die Pensionen und Hotels sind nun wieder alle ausgebucht im August. Gut so für die Insel, die doch unter dem Rückgang der Touristenzahlen in den Jahren nach dem Schiffsunglück zu leiden hatte. Uns bleibt also nur die Möglichkeit auf dem einzigen Campingplatz der Insel an der Nordwestküste zu campen. Die Monopolstellung dieses Campingplatzes bewirkt zwar, dass die Organisation, allem voran die Sauberkeit, nicht berauschend ist. Doch was die Lage und vor allem die tramonti, also die Sonnenuntergänge betrifft, so sind diese von der Terrasse des Restaurants unschlagbar schön. „Wenn bei Giglio die rote Sonne, ins Meer versinkt….“, dann tut sie das zwischen den Silhoutten von Elba und Korsika. Bei einem immer tiefer werdenden Abendrot, verspeisen wir sehr gute Fisch- und Nudelgerichte. Einzig der Wind stört die kitschig und ach so romantische Abendstimmung, sodass wir und die anderen Gäste uns von diesem wunderbaren Sonnenuntergang losreißen und die Terrasse verlassen. Wir müssen nicht traurig sein, denn noch haben wir ja einen Abend auf Giglio, an dem wir das abendliche Farbenspiel von Neuem bewundern dürfen. Nicht nur die Farben des Sonnenuntergangs sind wunderschön, sondern auch das Meerwasser ist von kristallklarem, transparentem Grün, wie ich es selten zuvor gesehen habe. Diese blau, grün und manchmal fast weiß schimmernden Farben sind vermutlich auf die Felsen in und außerhalb des Wassers zurückzuführen. Kein Sandkorn trübt das Wasser.
Am nächsten Tag gehen wir zu Fuß auf Erkundungstour. Steil steigen wir den Weg Nummer 10 nach Giglio Castello hinauf. Nach circa einer Stunde Gehzeit zwischen wildem Fenchel, Brombeeren, Wein, Ginster, Disteln und Meerblick an jeder Biegung erreichen wir Giglio Castello mit der Burg, wie der Name schon sagt und den mittelalterlichen Gässchen rundherum. Der Ort lebt hauptsächlich von Tagesausflüglern. Ein Bus nach dem anderen speit Ladungen voller Touristen aus, die vom Hafen mit dem öffentlichen Bus die wenigen, jedoch steilen, Kilometer hinauffahren, um eines der schönsten Dörfer Italiens (borgo più bello d’Italia), dessen Qualitätsbezeichnung ich auf dieser Reise – nicht zu Unrecht – entdecke. Der Ort besteht aus verwinkelten Gassen, geraniengeschmückten Hauseingängen und Treppen, einer Burg oder Reste davon, ein paar Souvenirläden. Nach einer Erfrischung mit einer spremuta d’arancia (frisch gepresstem Orangensaft, die man in Italien in jeder Jahreszeit und in jeder Bar genießen kann), marschieren wir weiter durch einen schattigen und duftenden Pinienwald (der Weg heißt nun 19b, später 21) hinunter zur Caia delle Cannelle. Der Abstieg in der brütenden Hitze – intelligenterweise gehen wir um die Mittagszeit – ist steil und lange. Nach ca. einer Stunde Abstieg gelangen wir in die zwar sehr schöne, jedoch völlig überfüllt Bucht hinunter. Der Strand mit Sonnenschirmen und Liegen, keinem freien Zentimeter, Körper an Körper, Höllenlärm erinnert uns an die Adriaküste. Wir verlassen nach einem schnellen Getränk fluchtartig die Bucht in Richtung Giglio Porto. Auf dem Weg entdecken wir die Felsen hinunter in noch kleineren Buchten, die einzig und allein mit dem Boot zugänglich sind, Schnorchler. Für dieses Vergnügen ist Giglio sicher ein idealer Ort. Völlig geschafft erreichen wir nach ca. 20 Minuten Gehzeit Giglio Porto, wo wir in mehreren pasticcerie (Konditoreien) das panficato entdecken, den typischen Kuchen mit getrockneten Feigen und Nüssen der Insel. Feigen und Brombeeren werden auch zu leckeren gelati verarbeitet. Und sogar Brombeermojito finden wir in einigen Bars im Hafen. Alles garantiert chilometro zero (d. h. mit Zutaten aus der Region). Wir entscheiden uns für die Rückfahrt mit dem Bus, der regelmäßig die Strecke Giglio Porto-Giglio Castello-Campese abfährt. Mein Traum vom Schwimmen im türkisblauen Meer muss leider noch warten, denn die Wellen an der felsigen Küste des Campingplatzes sind an jenem Abend zu wild.
Ob es mir jemals gelingen wird, auch mein ersehntes Bad im kristallklaren Meer am Südzipfel der Insel, die Rückkehr nach Umbrien mit unserem Besuch in Gubbio, Todi und am Lago Trasimeno (Bild links), die Weiterfahrt über den Bracciano See nach Rom und der Ausflug in die Albaner Berge (mit Lago di Castelgandolfo und Lago di Nemi) detailreich zu beschreiben ist ungewiss.